Niedrigpreisangebot und Kalkulationsirrtum - Freud oder Leid?

Niedrigpreisangebot und Kalkulationsirrtum - Freud oder Leid?
Schiller-Blog - Der Schillernde Blick auf die Baubranche

Niedrigpreisangebot und Kalkulationsirrtum - Freud oder Leid?

04.07.2007
Kalkulieren heißt Annahmen treffen. Jedes Angebot hat eine gewisse Unsicherheit. Aber was ist, wenn die Angebote weit auseinander liegen? Oft ist dies der Fall. Dann erregt der Billigstbieter die Gemüter. Was steckt dahinter? In der mathematischen Statistik werden "Ausreißer" für die Auswertung entfernt. Sollte man dieser Methode folgen und das billigste sowie teuerste Angebot automatisch aussortieren? Die VOB sagt dazu: Nein! Das wirtschaftlichste Angebot ist auszuwählen. In der Praxis ist dies meist das billigste. Auch der Billigbieter kann der Beste bzw. der Wirtschaftlichste sein.
Ein Geheimnis von Niedrigpreisangeboten sind einfach fehlerhafte Kalkulationen. Irren ist menschlich. Und der Bieter ist an sein Angebot bis zum Ablauf der Bindefrist gebunden. Hier liegt der Hase im Pfeffer. Der Bieter trägt immer das Risiko. Mit seinem Angebot mischt er die Karten. Hat er sich geirrt, dann hat er schlechte Karten. Freud und Leid liegen dicht beieinander. Hinzu kommt noch Schadenfreude in Form solcher Praxistipps: "Sie können mit ruhigem Gewissen den Bauherrn raten, selbst beim Erkennen eines Kalkulationsirrtums den Bieter zu beauftragen, da dieser gezwungen ist, das Objekt zu den Konditionen seines Angebotes durchzuführen."
Kalkulationsirrtümer werden unbewusst gemacht und es gibt eine große Bandbreite. Vom Schusselfehler bis zur Ahnungslosigkeit. Hier muss man differenzieren. Der Zahlendreher oder die Verwechselung von m2 und m3 sind zu nennen. Aber auch Fehler beim Rechnen, Vervielfältigen oder Übertragen können auftreten, wenn man z.B. nur mit Word und Excel arbeitet. Es werden auch Kostenkomponenten komplett vergessen und nicht beachtet. Man nimmt falsche Kalkulationsansätze an, weil man es nicht besser wusste. Und der größte Kalkulationsirrtum ist der, wenn man in Unkenntnis gar nicht kalkuliert. Es werden nur Preise eingetragen, ohne die Kosten zu beachten. Unwissenheit schützt vor Strafe nicht!
Wegen Kalkulationsirrtums die Angebotsbindung zu lösen wird schwierig. Im gewichtigen Einzelfall ist es möglich. Dies bedarf aber umfangreicher Dokumentationen, um die Kalkulationszusammenhänge zum Kalkulationsfehler nachzuweisen. Der Stress ist groß und die Chancen sind klein.
Das Risiko des Kalkulationsirrtums ist im Vorfeld zu vermindern. Das kann alles nicht passieren, wenn man Anhaltspunkte für die Kalkulation der Einheitspreise hat. Angefangen von den Einzelkosten über die Zuschläge bis zu den EFB-Preis Angaben.
In eigener Sache kann ich hierfür die neue Version 3.0 www.baupreislexikon.de empfehlen. Darin wird eine enorme Vielfalt von Teilleistungen angeboten, die mit Fachinformationen zu Kosten, Normen, Produkten etc. und eigenen Kalkulationsangaben vernetzt sind. Besonders wertvoll ist das Wissen zu den Leistungen, wo man noch keine Erfahrungen hat.
Auch die Zusammenfassung der Leistungen im LV für Angebote und Rechnungen und deren Darlegungen in den EFB-Preis Formblättern ist kalkulatorisch nachvollziehbar und in den Berechnungen schlüssig dargestellt. Über betriebliche und auftragsbezogenen Stundensätze erfolgt eine Kontrolle der Kalkulation auf Plausibilität. Allein die Querrechnung der Angebotssumme über den Umsatz pro Arbeitsstunde kann einen Kalkulationsirrtum aufdecken.
Zusätzlich haben wir bauwirtschaftliche Zusammenhänge in Online-Hilfen und einem Wörterbuch mit über 750 Begriffen verständlich erläutert. Diese vermitteln Zahlengefühl und dienen der Weiterbildung. Enthalten ist auch der Begriff Kalkulationsirrtum, ebenso wie Mischkalkulation oder Spekulationspreise.
Die damit verbundenen anderen Geheimnisse von Niedrigpreisangeboten sollen mein nächstes Thema sein. Diese werden bewusst gemacht und behandeln einen anderen Problemkreis.
In alter Frische!
Ihr Klaus Schiller

Kommentare (5)

Jürgen Richter - GH Projekt AG - Königstein: Bieter...
09.07.2007 10:08 Uhr
Sehr geehrter Herr Dr. Schiller,

Sie treffen mit Ihren Ausführungen den Nagel auf den Kopf. Eines muss aber richtigstellend ergänzt werden. In Sachsen haben wir in der Sächs. VergabeDVO bereits klare und unauslegbare Regelungen, dass ein Bieter bei einer Abweichung von mehr als 10% zur Kostenberechnung oder zum nächsten Bieter ausgeschlossen werden muss. (§6 Abs. 1-3)

Nach Meinung unseres Büros würde die beste Wertung wie folgt aussehen: Billigsten und teuersten Bieter zwingend ausschließen, Mittelpreis der restlichen Bieter bilden und prüfen, ob der führende (also zweite) Bieter von diesem Mittelpreis um mehr als 20% abweicht. Wenn nein, dann diesen beauftragen. Wenn ja, Aufklärung über die Kalkulation. Wenn diese lückenhaft oder fehlerbehaftet, dann auch diesen ausschließen und den nächsten beauftragen.

Diese Praxis hätte zur Folge, dass alle kalkulieren müssten. Das Kalkül, im Kampf um den Auftrag nur Preise "reinzuschreiben" und dann noch mit Nachlässen um sich zu werfen um dann in Nachträgen "zuzuschlagen", würde nicht mehr funktionieren. Vergaben würden transparenter, die Aufträge auskömmlicher und damit eine nachhaltige Qualitätsverbesserung möglich.

Wichtig wäre nur, dass Bauauftraggeber (öffentl. wie privat) mehr darauf achten würden, Büros mit der Planung und Ausschreibung zu betrauen, die dies auch professionell betreiben. Aber meist soll da schon gespart werden, weil auch eine Vergabe nun mal kostet.

Es grüßt Jürgen Richter
GH Projekt AG - Königstein
www.bauplanungen.de
Axel Kohlgrüber: Da fehlen einem die Worte.
16.07.2007 10:15 Uhr
"Billigsten und teuersten Bieter zwingend ausschließen" ???
B. F. Sindermann: Ich bin unbedingt dafür
19.07.2007 10:33 Uhr
die billigsten Bieter auszuschließen, zumindest wenn der Abstand zum nächsten Bieter und/oder zum Durchschnittspreis einen gewissen Abstand überschreitet. Denn es ist ja tatsächlich so, dass man bei jeder (oder zumindest den allermeisten) Submission einen Bieter dabei hat, der nicht weiß wie's geht, oder der den Auftrag offensichtlich so nötig hat, dass er alles außer Acht lässt, was eigentlich zu berücksichtigen ist.

Abstände von mehr als 10% zum Zweitplazierten sind in der Regel nicht zu erklären, doch merkwürdigerweise ergeben die Prüfung der Angebote regelmäßig, dass die Kalkulation in Ordnung ist und das der billigste Bieter auch das wirtschaftlichste Angebot unterbreitet hat.

Doch das liegt m. E. nach nicht an den tatsächlichen Erkenntnissen der Aufklärung der Angebotsinhalte, sondern ganz einfach am Geld. Warum sollte ein öffentlicher Auftraggeber auf diesen geldwerten Vorteil verzichten wollen?

Kann sich vielleicht jemand ernsthaft vorstellen, dass das gesamte öffentliche Bauen um einen Betrag von 5 - 10% verteuert? Peer Steinbrück und seine Länderkollegen werden sich freuen.

Und weil das so wie es ist, wird sich hier auch nichts ändern.

Da helfen keine noch so frommen Wünsche und dann müssen eben Firmen beauftragt werden, wo man sich bei Durchsicht der Submissionsergebnisse ernsthaft fragt, oder das Material vielleicht irgendwo geklaut werden muss um derartige Preise zu schreiben.

Völlig absurd wird diese Situation, wenn man bedenkt, dass die Investitionsentscheidungen der gewerblichen Auftraggeber in der Regel nicht von billigen Herstellkosten, sondern von betrieblichen Notwendigkeiten bestimmt werden und eine um 10% höhere Auftragssumme an einen Generalunternehmer keinen Bau einer Halle oder eines Bürogebäudes, einer Schule oder einer Polizeidienststelle verhindert.
Jörg Heintzenberg: Ich kann die Ausführungen
19.07.2007 11:53 Uhr
von Herr Richter nur unterstreichen. Die von Hr. Sindermann geäußerte Befürchtung, dass das öffentliche Bauen dadurch 5-10% teurer würde, teile ich nicht. Baukosten sind ja keine Vergabekosten, sondern abgerechnete Kosten incl. aller Nachträge. Und bei Nachträgen wäre ein deutlicher Rückgang zu erwarten, wenn die Unternehmen nicht mehr den subjektiv empfundenen Zwang hätten, ihre zu niedrig kalkulierten(?) Preise durch Nachträge aufzubessern.

Schön wäre es eine Statistik zu haben, die einen Vergleich von Vergabesummen und abgerechneten Kosten bei öffentlichen Bauten im Vergleich zeigt. Aber die gibt es wohl nicht.
Axel Kohlgrüber: 10%
20.07.2007 09:40 Uhr
"Abstände von mehr als 10% zum Zweitplazierten sind in der Regel nicht zu erklären." -- Eben, warum also jemanden zwingend ausschließen?

Es gibt genügend Instrumente um den Angebotsinhalt zu klären. EFB Preis 2 Blätter müssen ausgefüllt werden, alle Einheitspreise die im Missverhältnis zur Leistung stehen müssen schriftlich binnen 7 Tagen erklärt werden. Originaltext LBB: " Darüber hinaus bitten wir sie im Rahmen § 24 VOB/A durch die Vorlage entsprechender schriftlicher Kalkulationsnachweise und Begründungen innerhalb 7 Kalendertagen schlüssig nachzuweisen, dass die vorgenannten Positionen in jedem Einzelfall sachgerecht kalkuliert sind."

Das ist ein Haufen Arbeit für den Unternehmer und für den Ausschreibenden die er sich aber machen muß. Einfach raz faz den ersten und letzten zwingend ausschließen und fertig, ja wo sind wir denn?

Nochmal, die heute zur Verfügung stehenden Instrumente eine gerechte Vergabeentscheidung herbeizuführen sind vorhanden und gerecht. Sie anzuwenden ist Arbeitsintensiv und für viele zu kompliziert. Hier trennt sich dann die Spreu vom Weizen.

"Und bei Nachträgen wäre ein deutlicher Rückgang zu erwarten, wenn die Unternehmen nicht mehr den subjektiv empfundenen Zwang hätten, ihre zu niedrig kalkulierten(?) Preise durch Nachträge aufzubessern."
Dazu kann ich nur sagen: Für mich als mitarbeitender Unternehmer ist es am angenehmsten mit einem LV zu Arbeiten das umfassend und vollständig aufgestellt ist und ich alle Leistungen über eine vorhandene Position abrechnen kann. Nachträge auszuarbeiten und durchzuboxen ist nerven- und zeitraubend, außerdem, bei wacher kompetenter Bauleitung kann man dabei nicht reich werden.
Es gibt nur eine Lösung Nachträge zu reduzieren: Mehr Fleiß und Sachkenntnis beim Aufstellen der LV's! Mehr Unterstützung und mehr MitARBEIT der behördlichen Bauabteilungen!
Auch hier mangelt es immer mehr an Kompetenz und Einsatzwillen.
Warum wird es fast immer dem Unternehmer überlassen Nachträge aufzustellen? Antwort: Bequemlichkeit und Faulheit!

"wo man sich bei Durchsicht der Submissionsergebnisse ernsthaft fragt, oder das Material vielleicht irgendwo geklaut werden muss um derartige Preise zu schreiben."
Hierzu ein kleines Beispiel: Ich habe einmal eine Tiefbauaßnahme kalkuliert bei der u.A. ein Gerüst abgefragt wurde. Direkt neben der Baumaßnahme war ein Gerüsbauunternehmer konkurs, ich konnte einen Teil des Gerüst's zu einem Spottpreis erwerben und in die Maßnahme einrechnen. Es entfiel Miete und Vorhaltung. So lag mein EP 60% unter dem Durchschnitt.

Übrigens, die effektivste Methode um Pfuscharbeit zu verhindern ist eine kompetente, integere und präsente örtliche Bauleitung!

"oder der den Auftrag offensichtlich so nötig hat"
Jemand der ein Bruttogehalt bezieht oder gar im öffentlichen Dienst angewachsen ist kann sich kaum vorstellen wie es ist wenn es um die nackte Existenz geht. Dann arbeitet man zu Preisen um wenigstens Butter auf's Brot zu bekommen.
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